Ernst Zermelo
Ernst
Friedrich Ferdinand Zermelo, geboren 1871 in Berlin, gestorben 1953 in
Freiburg im Breisgau, hat zu Beginn des
letzten Jahrhunderts die von Richard Dedekind und vor allem von
Georg Cantor begründete
Mengenlehre axiomatisiert. Zermelo’s Axiome - damals von ihm
nur verbal formuliert - wurden erstmals 1908 unter dem Titel
Untersuchungen über die Grundlagen der Mengenlehre (Mathematische
Annalen 65, S.261−281) veröffentlicht. Sie
bilden den Kern der sogenannten Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre.
Die Axiome von Zermelo beschreiben die Grundbeziehungen zwischen den Objekten, die zu einem vorgegebenen „Bereich“ ℬ gehören. Die Objekte dieses Bereichs nennt Zermelo „Dinge“. Werden zwei solche Dinge mit a bzw. mit b bezeichnet und gilt die Beziehung a ∈∈ b, dann heißt dies in Worten: „a ist Element der Menge b“. Ist a kein Element von b, so schreibt man: a ∉∉ b. Sind M und N irgendwelche Mengen und folgt für jedes x ∈∈ N, dass auch x ∈∈ M gilt, dann ist N „Untermenge“ von M und man schreibt hierfür N ⊆ M. (Die von Zermelo ursprünglich verwendeten Symbole sind hier und im Folgenden durch die heute üblicherweise benutzten Zeichen ersetzt worden.) Wenn zwei Mengen kein gemeinsames Element besitzen, dann heißen diese Mengen „disjunkt“.
Wenn für irgendeine Aussage E aufgrund der Axiome oder mit aus den Axiomen logisch hergeleiteten Gesetzen entschieden werden kann, ob E gültig ist oder nicht, ist E eine „definite Aussage“. Eine „Klassenaussage“ E(x), in welcher x jedes beliebige Individuum einer Klasse K bezeichnen kann, ist definit, wenn sie für jedes einzelne Individuum von K definit ist. Zermelo spricht hierbei von einer „Klasse von Dingen“, wenn ℬ mindestens ein Individuum dieser Klasse enthält. Unter X = {x ∈∈ M | E(x)} wird im Folgenden diejenige Menge verstanden, die aus all denjenigen Elementen von M besteht, für welche die Aussage E(x) gültig ist; weitere Elemente sind in der Menge X nicht enthalten.
„X ⇒ Y“ ist die abkürzende Schreibweise für: „Aus der Aussage X folgt die Aussage Y“ oder: „Wenn X gültig ist, dann ist auch Y“ gültig.
(1) Axiom der Bestimmtheit
Für alle Mengen M und N gilt:
M ⊆ N und N ⊆ M ⇒ N = M.
(Die Umkehrung dieser Aussage ist offensichtlich gültig und muss nicht ausdrücklich axiomatisch gefordert werden.)
(2) Axiom der Elementarmengen
(2.0) Es gibt eine Menge, die gar keine Elemente enthält. Diese Menge
wird heute „leere Menge“ genannt und wird entweder mit „{ }“ oder
mit „Ø“ bezeichnet.
(2.1)
Ist a irgendein Ding des Bereichs ℬ, dann gibt es eine Menge, die a und nur a
als Element enthält: { a }.
(2.2)
Sind a und b irgendwelche Dinge des Bereichs ℬ, dann gibt es eine Menge,
die nur diese beiden Dinge als Elemente enthält: { a, b }.
(3) Axiom der Aussonderung
Ist die Klassenaussage E(x) definit für alle x ∈∈ M,
so existiert immer eine
Untermenge ME ⊆ M
mit ME = {x ∈∈ M | E(x)}.
(4) Axiom der Potenzmenge
Zu jeder Menge T gibt es die „Potenzmenge von T“ ℘
(T) = {M | M ⊆ T}.
Beispiel:
T = { P, Q } ⇒ ℘
(T) = { { }, { P }, { Q }, { P, Q} }.
(5) Axiom der Vereinigung
Sei T eine Menge, deren Elemente selbst Mengen sind. Dann gibt es zu
T immer die „Vereinigungsmenge von T“. Dies ist die Menge, die
alle Elemente der Elemente von T und nur solche als Elemente enthält.
Die Vereinigungsmenge von T wird heute mit ∪
T
bezeichnet.
Beispiel:
T = { { a, b }, { a, c }, { d }} ⇒ ∪
T = { a, b, c, d }.
(6) Axiom der Auswahl
Ist T eine Menge von Mengen, die alle paarweise disjunkt sind und gilt
ferner { } ∉∉ T, dann enthält die
Vereinigungsmenge von T mindestens eine Untermenge S, welche mit jedem
Element von T genau ein Element gemeinsam hat.
Mit anderen Worten: Es ist immer möglich, aus jedem Element der Menge
T genau ein Element auszuwählen und dann alle so ausgewählten Elemente
zu einer Menge S zu vereinigen.
(7) Axiom des Unendlichen (nach Richard Dedekind)
Zum Bereich ℬ gehört mindestens eine Menge Z, die die leere Menge als
Element enthält und die Eigenschaft hat, dass Folgendes gilt:
x ∈∈ Z ⇒ { x } ∈∈ Z.
Die Axiome (1) bis (7) wurden später wie folgt ergänzt:
(8) Axiom der Ersetzung (nach Abraham Fraenkel)
Ersetzt man die Elemente x einer Menge eindeutig durch beliebige
Elemente x’ des Bereichs ℬ, so enthält dieser eine Menge M’, welche alle
diese x’ als Elemente hat.
(9) Axiom der Fundierung
Jeder Teilbereich T enthält wenigstens ein Element t0, das
kein Element t in T hat.
Aufgrund des Fundierungsaxioms kann es keine zirkelhafte Mengen geben, so zum Beispiel Mengen, die sich selbst als Elemente enthalten.
Sei T eine Menge, deren Elemente selbst Mengen sind, dann gibt es nach Axiom (3) zu jedem a eine bestimmte Untermenge Ta ⊆ T, die all die Elemente von T enthält, die a als Element enthalten. Für jedes a ist die Aussage „Ta = T“ definit. Sei nun A ∈∈ T beliebig gewählt, dann ist D = { a ∈∈ A | Ta = T } diejenige Untermenge von A, welche alle Dinge enthält, die Element von jedem Element von T sind. D heißt Durchschnittsmenge von T und wird heute mit ∩T bezeichnet.
Ist T = { A, B } mit irgendwelchen Mengen A und
B, dann schreibt man ∩T = A∩B.
Alle Mengen mit den in Axiom (7) geforderten Eigenschaften haben eine gemeinsame Teilmenge.
Beweis:
Sei Z eine Menge mit den in Axiom (7) geforderten
Eigenschaften und Z1 ⊆ Z
eine Untermenge von Z mit Ø ∈∈ Z1.
Wenn dann a
irgendein Element von Z1 ist, gibt es wegen { a } ∈∈ Z
(nur) zwei Möglichkeiten: Entweder ist { a } ∈∈ Z1
oder es ist { a } ∉∉ Z1.
(Im letzteren Fall gehört { a } zur sogenannten „Komplementärmenge
von Z1“, die alle diejenigen Elemente der Obermenge Z
umfasst, die nicht zu Z1 gehören.) Man kann also in
jedem Fall entscheiden, ob die Aussage „x ∈∈ Z1 ⇒ { x } ∈∈ Z1“,
(im Folgenden mit „E(x)“ abgekürzt)
für x ∈∈ Z1
gültig ist oder nicht. Diese Aussage ist demzufolge definit und es gibt nach
Axiom (3) eine Untermenge von Z1, genannt Z1’,
mit Z1’ = {x ∈∈ Z1 | E(x)}.
Diese Argumentation ist unabhängig von der Wahl der Untermenge Z1; sie gilt also für alle Untermengen von Z und für jede dieser Untermengen Z1 lässt sich entscheiden, ob die zugehörige Untermenge Z1’ die Aussage „Z1’ = Z1“ gültig ist oder nicht. Falls ja, hat die betreffende Menge Z1 dieselben Eigenschaften wie Z, andernfalls nicht.
Sei T diejenige Untermenge der Potenzmenge von Z, deren Elemente alle dieselben Eigenschaften wie Z haben, das heißt: T = {Z1 ⊆ Z | Z1’ = Z1}. Dann hat Z0, die „Durchschnittsmenge von T“ (das ist diejenige Menge aller Elemente e, für die e ∈∈ Z1 für alle Z1 ⊆ T gilt), ebenfalls dieselben Eigenschaften wie Z: es gilt E(x) für alle x ∈∈ Z0 und Z0 enthält die leere Menge Ø als Element.
Ist nun Z* irgendeine andere Menge mit den in Axiom (7) geforderten Eigenschaften, so gehört auch zu dieser Menge Z* eine Menge Z0* mit der Eigenschaft, dass E(x) gilt für alle x ∈∈ Z0*. Dann muss aber auch die Durchschnittsmenge Z0∩Z0* als gemeinsame Untermenge von Z und Z* dieselben Eigenschaften wie Z und Z* haben. Es gilt also E(x) für alle x ∈∈ Z0∩Z0*. Demzufolge ist Z0∩Z0* eines der Elemente von T und Z0 ist (als Durchschnittsmenge von T) Untermenge von Z0∩Z0*. Andererseits ist Z0∩Z0* Untermenge von Z0. Hieraus folgt mit dem Axiom (1) Z0 = Z0∩Z0*. Entsprechend schließt man, dass Z0* = Z0∩Z0*, und damit ist Z0 = Z0*. Hiermit ist bewiesen, dass Z0 der gemeinsame Bestandteil aller möglichen wie Z beschaffenen Mengen ist.
Z0 enthält die Elemente Ø, { Ø }, { { Ø } }, u.s.w. Diese „Zahlenreihe“ bildet nach den damaligen Untersuchungen Zermelo’s „das einfachste Beispiel einer abzählbar unendlichen Menge“ (Grundlagen der Mengenlehre. I., §1). Zermelo’s Zahlenreihe entspricht in bijektiver Weise den natürlichen Zahlen 0, 1, 2, u.s.w.
Zermelo und von Neumann haben später das Unendlichkeitsaxiom umformuliert, und zwar so, dass die natürlichen Zahlen durch die Zahlenreihe { Ø }, { Ø, { Ø } }, { Ø, { Ø }, { Ø, { Ø } } }, ... repräsentiert werden (→ Unendlichkeitsaxiom).
1871 | Zermelo wird am 27. Juli in Berlin geboren. |
1889 | Zermelo studiert Mathematik, Physik und Philosophie an den Universitäten von Berlin, Halle (Saale) und Freiburg (bis 1894). |
1894 | Promotion an der Universität Berlin: Untersuchungen zur Variationsrechnung |
1897 | Habilitation an der Universiät Göttingen: Wirbelbewegungen auf der Kugeloberfläche. |
1904 | Zermelo formuliert das Auswahlaxiom. Beweis des Satzes, dass jede Menge wohlgeordnet werden kann. |
1905 | Ernennung zum Professor an der Universität Göttingen. |
1908 | Untersuchungen über die Grundlagen der Mengenlehre I. Neuer Beweis für die Möglichkeit einer Wohlordnung. |
1910 | Wechsel an die Universität Zürich (bis 1916). |
1914 | Über ganze transzendente Zahlen. |
1916 | Zermelo erhält den Ackermann-Teubner-Gedächtnispreis. |
1921 | Thesen über das Unendliche in der Mathematik. |
1926 | Honorarprofessur in Freiburg im Breisgau (bis 1935 und erneut ab 1946). |
1929 | Über den Begriff der Definitheit in der Axiomatik. |
1930 | Über Grenzzahlen und Mengenbereiche. Neue Untersuchungen über die Grundlagen der Mengenlehre. |
1953 | Zermelo stirbt am 21. Mai in Freiburg im Breisgau. |
Wikipedia: Ernst Zermelo
Wikipedia: Zermelo-Mengenlehre